Fräulein Rothaut

Das wohl erste Karl-May-Stück auf der Bühne war eine Parodie

Titelblatt Programmheft Fräulein Rothaut, München 1916 Das Archiv des Gärtnerplatz­theaters hat uns freundlicher­weise einen Scan des Programm­hefts der Aufführung vom 18. April 1916 zur Verfügung gestellt. Die PDF-Datei (4,7 MB) kann mit einem Klick auf die Abbildung in einem neuen Fenster geladen werden.

Am 1. April 1916 feierte am Münchner Gärtnerplatztheater die »burleske Operette in 3 Aufzügen« ›Fräulein Rothaut‹ ihre Uraufführung. Der Text stammte von einem gewissen H. Wilmers – was lt. zeitgenössischen Quellen ein Pseudonym ist –, die Musik steuerte Karl Sikora bei, die musikalische Leitung lag bei Karl Fürmann, der »Oberregisseur« war der österreichischen Schauspieler Franz Josef Graselli (1856–1929).

Gärtnerplatztheater München um 1910 Das am 4. November 1865 eröffnete (und noch heute existierende) Gärtnerplatztheater war um 1910 eines »der führenden Theater für Operette im deutschsprachigen Raum«.

Nach der Uraufführung wurde das Stück anscheinend regelmäßig gegeben, am 18. April erscheint ›Fräulein Rothaut‹ bereits »Zum 15. Male« auf der Bühne. Aus dem Programmheft erfahren wir, dass die »Kassa-Eröffnung« um »7 Uhr« (also wohl 19.00 Uhr) war, die Vorführung begann um 19.30 Uhr und dauerte, von zwei zehnminütigen Pausen unterbrochen, bis 22.00 Uhr.

Rudolf Seibold Josefl Ludl Tina Hellina
Von links nach rechts: Rudolf Seibold (Eusebius Meyer, genannt Old Shatterhand), Josef Ludl (Winnetou) und das titelgebende Fräulein Rothaut Tina Hellina (Nscho-Tschi); Abbildungen aus dem Programmheft vom 18. April 1916.

Das Textbuch zur Operette scheint verloren gegangen zu sein, aber schon aus dem Programmheft wird klar, dass es sich um eine Karl-May-Parodie rund um ›Winnetou‹ handelt: der Tenor Rudolf Seibold (1874–1952) spielte »Eusebius Meyer, genannt Old Shatterhand, Reiseschriftsteller«, Bassist Josef Ludl (1868–1917) trat als »Winnetou, Häuptling der Apachen« auf, Tina Hellina war »Nscho-Tschi, seine Schwester« – und das titelgebende »Fräulein Rothaut«, Simon Mayerhofer »Tangua, ein junger Indianer«. Neben diesen von Karl May bekannten Figuren bekam Old Shatterhand auch Diener und Haushälterin mit auf den Weg (gespielt von Robert Hesse und Jenny Heinz).

Besetzung Fräulein Rothaut, München 1916
»Die Damen werden höfl. ersucht die Hüte abzunehmen«: Auszug aus dem Programmheft vom 18. April 1916

Jenny Florstedt hat 2018 für ›Karl May in Leipzig‹ einige zeitgenössische Rezensionen zusammengetragen. Im ›Prager Tagblatt‹ vom 5. April 1916 heißt es zum Inhalt der Operette:

Old Shatterhand ist, nachdem er ungezählte Bände phantastischer Reiseromane voll unerhörten eigenen Heldentums in der sächsischen Heimat verfertigt, auf den unseligen Einfall gekommen, einmal wirklich eine Reise zu den Indianern zu unternehmen. Er wird denn auch wirklich vom Stamme Winnetous gefangen und kommt an den Marterpfahl, von dem ihn dann Winnetous Schwester mit HIlfe des in solchen Fällen üblichen Ehe-Reklamationsrecht unbescholtener Mädchen armen Sündern gegenüber errettet. Er entgeht dann übrigens schließlich auch glücklich dieser furchtbaren Gefahr, mit dem Fräulein Rothaut vermählt zu werden, und man hat noch Gelegenheit, ihn und die ganze Bande der Apachen im trauten Dresdner Heim zu erleben.

Auch die ›Salzburger Chronik‹ vom 6. April 1916 bringt eine Inhaltsangabe, deren Verfasser allerdings mit Mays Werk nicht allzu vertraut gewesen zu sein scheint. So wird Winnetou zum »Trotelfürst« und seine Schwester trägt hier den Namen »Nigotki«. Immerhin erfahren wir etwas mehr von der Handlung:

Nicht sehr rühmlich flieht dann May-Mayer[!] nach Europa, wo er nun seine Reisen in bunten Romanen schildet, die ihn als Triumphator von Wildwest zeigen. Ohne Verzug aber naht die Rache. Jenes Indianervolk kommt plötzlich nach Dresden, um dort in dem Varietétheater Viktoriasalon aufzutreten und besucht bei diesem Anlaß den in Loschwitz bei Dresden in einer fabelhaften Villa hausenden Eusebius. Die Wilden bedrohen ihn mit fürchterlichen Enthüllungen, bis er ihnen verspricht, seine Romane umzudichten und ihnen eine ruhmvolle Rolle anzuweisen.